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Deutsch
Nachdem ich über die Feiertage das U18 5-Nationen Turnier in Zuchwil sowie die U20-WM beobachtet habe, poste ich nun meinen ersten (vielleicht etwas gewagten) Blog-Beitrag. Ich habe das Gefühl, dass wir in der Schweiz viele "gute" Spieler produzieren - aber halt "nur" gute und nicht "ausserordentlich gute" (welche auf internationalem Niveau in einem Spiel den Unterschied machen können). Dazu stelle ich eine These auf und leite mögliche "Forderungen" ab:
Als Junioren-Coach im Schweizer Eishockey bekomme ich mit, wie mithilfe von Strukturen, Ideen und Regelungen die jungen Eishockey-Talente gefördert werden. Daher schreibe ich diesen Artikel mit dem "COACHING-Hat". Aber auch mit meinen ersten Einblicken ins Scouting habe ich das Gefühl zu bemerken, dass wir viele "gute" Spieler produzieren. Aber um auf internationalem Niveau einen "Unterschied" machen, respektive Spiele entscheiden zu können, braucht es die ausserordentlich guten Spieler - die Ausnahmekönner. Und diese fehlen in der Schweiz. Daher trage ich gleichzeitig auch den "SCOUTING-Hat".
Um ausserordentlich gute Spieler "hervorzubringen", braucht es immer ein gutes und stabiles Fundament. Daher spricht man immer davon, dass die "Breite" (also der Breitensport) gut aufgestellt sein muss - wir brauchen so viele Nachwuchsspieler wie möglich. Dabei nimmt man sich immer das Beispiel an den nordischen Ländern wie Schweden und Finnland. Die haben so viele gute Eishockeyspieler mehr als die Schweiz, weil auch viel mehr Kinder Eishockey spielen. Das ist sicherlich ein wichtiger und richtiger Punkt. Ansonsten würden die grössten Länder (mit der grössten Population und somit auch meistens mehr Aktiven pro Sportart) an den olympischen Spielen nicht (fast) ausschliesslich die Medaillenspiegel dominieren. Wenn man den besten Athleten von zehntausend nehmen kann, wird dieser wahrscheinlich besser sein als ein Athlet, der aus zehn ausgewählten Athleten der Beste ist.
Jedoch sind die Herausforderungen in jedem Land ganz anders und so macht es für mich - zumindest im Eishockey gesehen - nur bedingt Sinn, uns damit zu begnügen, dass wir halt nicht mehr (ausserordentlich gute) Eishockeyspieler haben.
Unsere Sportart ist teuer und aufwändig - zudem gibt es in der Schweiz weniger Eiskapazität als in Finnland und Schweden. Und das Schweizer Schulsystem macht es nicht einfacher, nebenbei noch (auf hohem Niveau) Sport zu betreiben. Daher müssten wir - in meinen Augen - die "wenigen" (sehr guten) Spieler, die wir haben, umso besser fördern und fordern.
Die Ligastruktur im Nachwuchs sieht so aus, dass man möglichst grosse Ligen möchte - sodass möglichst viele Spieler auf dem höchsten Niveau spielen können. ein Beispiel ist die höchste Liga auf der U15 Stufe (wo ich selbst als Trainer mitwirken darf). Auf Stufe U15 Elit gibt es 24 Teams. Nach rund 16 Spielen in der Saison 24/25 weist das erst klassierte Team eine Tordifferenz von +74 auf, das zuhinterst klassierte Team eine Tordifferenz von -121. Dass somit das Gefälle innerhalb der Liga sehr gross sein muss, liegt da auf der Hand. Bei Spielen mit solchen Leistungsgefällen können die jungen SpielerInnen kaum profitieren. Extreme Überforderung trifft auf grosse Unterforderung. Dass hierbei kein grosser Lerneffekt stattfindet, sollte auch Personen bekannt sein, die nicht im Lehrer- oder Trainerbusiness tätig sind.
Auch innerhalb einzelner Teams ist ein grosses Leistungsgefälle erkennbar. Falls also der beste Stürmer im Training gegen den schwächsten Verteidiger "ran muss", gibt es eigentlich nur einen negativen Ausgang. Der beste Spieler lernt nichts dazu, da er in der Übung/in der Aktion nicht gefordert wird (im Gegenteil: eventuell erhält er auch das Gefühl, dass er so gut ist und die Ausführung nur halbwegs richtig machen muss). Der schwache Verteidiger ist in der Aktion überfordert und sieht den Puck nicht mal - auch er lernt nichts dabei (ausser vielleicht, dass er "schlecht" ist und sich nach dem Training grosse Frustration breit macht).
Meine These ist daher, dass wir die wenigen sehr guten Spieler, welche wir haben, gezielt und punktuell fördern müssen, damit diese noch besser werden und nicht stagnieren. Das Fundament dazu ist eine qualitativ hochstehende technische Ausbildung der Spieler - und zwar angefangen auf den unteren Stufen. Dazu werde ich aber gerne in einem künftigen Beitrag mehr dazu schreiben. Zusätzlich bräuchte es aber auch Anpassungen in den Strukturen und Denkweisen der Trainer/Sportchefs und des Verbands.
Einerseits sollten die Ligen verkleinert oder aufgesplittet werden. Falls es nur vier bis sechs Teams gibt, welche auf Augenhöhe spielen können, sollten diese Teams viel mehr gegeneinander spielen. Dann gibt es halt für ein Jahr keine Mannschaft aus dem Kanton Wallis in der besten Liga auf Stufe U15 - im anderen Jahr dann aber dafür vielleicht gleich zwei. Der "Kantönligeist" und die "politischen Entscheide" sollten in Bezug auf Nachwuchsförderung eliminiert werden.
Andererseits sollten die Trainingskader der besten Teams auch nicht künstlich "aufgeblasen" werden. Natürlich sollte man Spielern die Chance geben, sich unter den Besten beweisen zu können. Aber das sollte nur gemacht werden, wenn es auch Sinn macht. Falls es in einem Jahrgang einmal nur 13 Spieler gibt, welche aktuell in der obersten Liga spielen können, sollte das Kader auch auf 13 Spieler begrenzt werden. Spieler, welche diesen "cut" knapp nicht schaffen, sollten dann aber eine Liga tiefer mit viel Verantwortung eingesetzt werden. So können diese Spieler auch profitieren (anstatt eine Liga höher überfordert zu sein) mit dem Ziel, dass sie mittelfristig in die höhere Klasse "aufsteigen" können.
Um die wirklich besten Spieler eines Jahrganges zusätzlich zu fördern, sollte man dafür zudem noch weitere Möglichkeiten schaffen. Ein Vorbild dafür ist zum Beispiel das US-amerikanische "NTD"-Programm (US Nationalteam Entwicklungsprogramm). Die besten US-amerikanischen Spieler eines Jahrganges messen sich als Mannschaft im College Hockey (gegen ältere Spieler). Einen ähnlichen Versuch gab es bei uns bereits einmal mit der U20, welche in der Swiss League teilgenommen hat. Wahrscheinlich ist die Swiss League (in der aktuellen Verfassung) keine geeignete Variante. Aber man müsste sich ein solches Förderprogramm durchaus wieder überdenken. Auf Stufe U15 könnte man beispielswiese damit beginnen, dass die besten Spieler pro Region regelmässig miteinander trainieren und gegeneinander spielen. Solche "Auswahl-Mannschaften" gibt es schon, aber auch dort sind die Teams in meinen Augen zu sehr "aufgeblasen". Man müsste jeden Jahrgang einzeln anschauen und die Kader/Teams dann je nach Anzahl Spielern individuell zusammenstellen.
Ebenfalls sollte man ausserordentlich gute Spieler - so genannte "Difference Maker" nicht zu früh "züglen", indem man sie ein destruktives Spielsystem spielen lässt oder ihnen verbietet, ihre Fähigkeiten einzusetzen. Falls ein Spieler mit guter Stocktechnik vier Gegner "austanzen" kann, soll er dies tun dürfen und müssen - auch wenn dabei Fehler passieren und daraus Gegentore und sogar Niederlagen resultieren. Denn nur so lernt dieser Spieler auch noch dazu. Falls er nur noch System spielen darf, wird er seine Fähigkeiten nicht weiter ausbauen und später auf internationalem Niveau den Unterschied nicht machen können.
Dasselbe gilt, wenn sehr gute Spieler bereits eine Stufe höher eingesetzt werden. Dort bekommen sie oft wenig Eiszeit und Verantwortung. Es gilt, möglichst keine Fehler zu machen. Doch ein "Künstler", welcher mit seiner Stocktechnik offensiv Chancen kreieren kann, soll auch eine Stufe höher dieselbe Rolle einnehmen dürfen. Dann wird er dazu lernen. Falls ein Spielstarker Center eine Stufe höher aber nur als Flügel in der vierten Linie mit einer defensiven Rolle bestückt wird, kann er seine guten Fähigkeiten nicht weiter ausbauen. In der Privatwirtschaft wird ein IT-Spezialist im Bereich Blockchain auch nicht plötzlich für den Virenschutz eingesetzt.
Ein gutes Beispiel, einen jungen Spieler in "seiner" Rolle einzusetzen ist der EHC Biel mit Jonah Neuenschwander. Der erst 15-Jährige mit Qualitäten als "Playmaker" bekam in seinem ersten Spiel in der National League eine Rolle in der ersten Linie und im Powerplay. Ein eher negatives Beispiel beim selben Spieler war die U20 WM. Dort hat Neuenschwander in entscheidenden Phasen kaum gespielt.
Es braucht in meinen Augen somit Anpassungen in den Strukturen aber auch andere Denkweisen und Mut von Trainern und Sportchefs. Dann können wir vielleicht mehr "Difference Makers" ausbilden.
Trotz all diesen "Anliegen" und Vorstellungen möchte ich betonen, dass ich es absolut wichtig und richtig finde, dass der "Breitensport" gefördert wird und alle Spieler die Möglichkeiten haben, sich zu entwickeln. Denn der Breitensport macht eine Sportart aus. Und jedes Kind soll Eishockey spielen können (und wollen). Es braucht also auch in der "Vermarktung" der Sportart einen Schritt nach vorne. Die "Konkurrenz" sollten nicht die anderen Clubs, sondern die anderen Sportarten sein. Wir müssen die Kinder auf die Eisbahn bewegen und auch halten. Aber die wenigen sehr guten "Talente" sollten besser gefördert und vor Allem gefordert werden. Mein Eigener Antrieb als Coach ist es, möglichst viele ausserordentlichen Spieler zu "produzieren", welche später auf nationalem oder noch besser auf internationalem Niveau Top sind. Dafür muss man Niederlagen in Kauf nehmen und es braucht auch ausserordentlichen Aufwand.
Nun interessiert mich aber auch noch, wie das andere Coaches, Nachwuchs-Chefs aber auch (ehemalige) Junioren-SpielerInnen und Eltern sehen. Was ist Eure Meinung zu dieser Thematik? Ich freue mich auf Rückmeldungen in den Kommentaren. Nun ziehe ich meine Hüte vorerst aber wieder ab - somit "Hats off".
English:
After watching the U18 Five Nations Tournament in Zuchwil and the World Junior Championship during the holidays, I post my first (maybe a little daring) post. I have a feeling that Switzerland produces a lot of "good" players - but only good and not "very good" ones (that could make the difference in games at the international level). On this, I put forward a thesis and derive some demands:
As a Junior-coach in SUI ice hockey I see how structures, ideas, and rules help develop young ice hockey talents. Therefore, I wear the "COACHING-Hat" for this post. However, I used these tournaments as some of my first scouting opportunities, and I start to get the feeling that we try to produce a lot of "good" players. But to be able to make a difference at the international level and to decide games, we need "exceptionally good" players. And those are missing in Switzerland. That’s why I also wear the "SCOUTING-Hat".
To produce extraordinary players, a youth program needs to provide a good and stable foundation. Therefore, everyone talks about the "width" (mass sport) that must be set up well - we need as many junior players as possible. The example of northern countries like Sweden and Finland is often taken. They have so many more good hockey players compared to Switzerland because they also have a lot more kids that play hockey. Of course that is an important point. Otherwise, the biggest countries (with the biggest population and therefore the most active players per sport) wouldn’t always dominate the medal table at the Olympics. If you take the best athlete out of ten thousand, he will be better compared to the athlete that got selected as the best out of ten.
But the challenges in each country are different, and to simply say that we do not have enough ice hockey players is not an excuse for not producing exceptionally good players in my opinion.
Our sport is expensive and complex - and there's less ice capacity in Switzerland than in Finland or Sweden. The Swiss school system also doesn’t help; while the system has many advantages, it does not support high intensity after school training. That’s why we - at least in my eyes - must develop the few very good players that we have into being exceptionally good. Unfortunately, the League structure in junior ice hockey appears to value the number of teams in leagues/divisions - that as many players as possible can compete at the highest level. An example of the size of the league is the U15-Level (where I coach). At the U15 Elit Level (highest 15 under level) there are 24 teams. After about 16 games in the 24/25 season, the first-place team has a goal differential of +74. The team at the end of the standings stays at -121. It is clear that the gap within the league seems to be big. At games with such a big performance gap, the young players cannot benefit. Less skilled players compete against highly skilled players, which results in the less skilled players becoming discouraged and the highly skilled players becoming bored. Overall, there is not a large amount of learning happening, which should be clear even to those not in the teaching or coaching-business.
Also, within teams there is a huge performance gap. If the Top-Forward must compete against the weakest defender in practice, there will only be a negative outcome. The Top-Player does not learn anything because he is not challenged within the exercise (the opposite will happen: maybe he gets the feeling that he is that good and doesn’t have to execute at the highest level). The weak defender is totally overwhelmed and will not even see the puck - also this player will not learn anything (except he might think he is bad and therefore he will be frustrated after practice).
My thesis is: we must push the few very good players specifically and selectively so that they get even better and not stagnate. The fundamental part for that is a high-quality technical player education started in the lowest age groups. I will write more about that in a future post. In addition, for that, there also have to be changes made in the structures and in the thinking of the coaches/GM's and the National Federation.
On one hand, the leagues should get reduced or split. If there are only four to six teams that can compete on the same level, these teams should compete more often against each other. Then there would not be a team from the canton of Wallis in the best League on the under 15 level for a season - in the next year there might be two teams though. This means the leagues should reevaluate each year to adjust for player skill level. The political decisions should be eliminated in relation to youth player development.
On the other hand, the size of the best teams should not be "blown up". Of course, players should get the chance to compete at the highest level. But that only should be done if there is a legitimate reason for it. If there are only 13 players in one age-group that can compete at the top-level, there should only be 13 players on the roster. Players that don’t make the "cut" should play in a lower level but with a lot of responsibility. That way these players can benefit (instead of being overwhelmed in the level above) with the goal that they can advance to the higher level (long term).
To push the exceptionally good players of an age-group, there should be more opportunities created. An example of that is the US "NTD-Program" (National Team Development program). The best US-players of one age-group compete as a team in the NCAA (against older players). A similar attempt was made in Switzerland with the under 20 National Team that competed in the second highest "Swiss League". However, this program would probably not be a good idea for the “Swiss League” in its current condition, but there should be thoughts about bringing back such a development program. At the under 15-level, we could get started by letting the best players in each region practice together and compete against each other. Such teams already exist, but these teams seem to be rostered whether they have the “best players” or not, in my eyes. Every single age-group should be evaluated separately, and the rosters should be built individually each year.
In addition, the exceptionally good players - the so called "difference makers" - shouldn’t be pushed into a play system or forbidden from using their skills. If a player can dangle around four opponents with his good moves, he should be allowed and forced to do that - even if he makes mistakes that cause turnovers, goals and even to lose the game. Because only this way, that player can learn more. If he is only allowed to play within a system, he will lose his skills and later on won’t be able to make a difference on the international level.
The same goes when very good players can play in an older age group. There they often get not more than a few minutes of ice time and not a lot of responsibility. The main goal is to make as few mistakes as possible. But a "puck artist" that can create offensive plays with his moves should get the same role in the older age group. That way he can learn more. If a playmaking centermen in an older age group only gets to play in the fourth line with a defensive role, he will not be able to improve his abilities. In the private sector an IT-Specialist for blockchain technology also will not be used for virus protection.
A good example of letting a young player play "his role" is the EHC Biel with Jonah Neuenschwander. The only 15-Year-old "playmaker" got a role in the first line and in the powerplay in his first National League game. A bad example with the same player was during the U20 World Championship. There, Neuenschwander didn’t play a lot in deciding moments of the games.
Therefore, in my eyes the structure needs adjustments in addition to the ways of thinking and courage of coaches and GM's. Then we might be able to develop more "difference makers".
Despite all those "issues" and ideas, I want to mention that I believe that it’s very important and correct that the "mass sport" gets pushed and every player gets a chance to develop because the "mass sport" is the key to a sport. Every kid should be able to play (and want to play) hockey. Therefore, the sport also needs "Marketing" to make a step forward. The competition shouldn’t be other hockey teams, it should be other sports. We must bring the kids onto the ice and keep them there. But the rare very good "Talents" should be developed and pushed better. My own drive as a coach is to "produce" as many good players as possible, that later will be "on the top" in a national or better international level - and not just mediocre. For that, we need to accept losses and be aware that there will be extraordinary expenses.
Now I am curious, what other coaches, youth-GM's, and also (former) junior players and parents think about that. What is your opinion about that topic? I'm looking forward to your replies within the comments. But I take off my hats for now - therefore "Hats off".
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